Sonntag, August 27, 2006

 

Es geht wieder los

Jetzt ist es schon wieder einige Zeit her, dass ich hier meine Memoiren zum Besten gegeben habe und das liegt nicht etwa daran, dass ich ach so gestresst gewesen waere, sondern eher daran, das gar nicht soviel passiert ist. Bevor ich aber anfange zu erzaehlen, ne kurze Frage: ich ueberlege gerade bei meiner Rueckkehr so ne Art kommerzielle Diashow zu veranstalten, wo der Schwerpunkt allerdings nicht so sehr auf Bildern, sondern eher auf Geschichten und Reisetipps liegen wuerde, also viele der Inhalte dieses Blogs wuerden wieder aufgegriffen werden. Haltet ihr das fuer ne gute Idee? Einfach mal auf Kommentar unten klicken und ne Meinung abgeben, wenn ihr moegt. Und bitte ne ehrliche, ich haette naemlich keine Lust, mir die ganze Diashow-Arbeit umsonst zu machen…
Also, zurueck nach Lima. Die Situation hat sich nicht wirklich verbessert oder verschlechtert. Die Arbeit ist leider immer noch sehr langweilig und ineffektiv, weil hier mittlerweile alle sehr gestresst sind, da bis Ende August noch einiges an Geldern aufgetan werden muss, damit alle Projekte weiterlaufen koennen. Damit ist die Grundstimmung nervoes und einige Leute haben Angst, bald ihren Job zu verlieren (mit gutem Grund, es muessen wohl 12 von 70 Leuten gehen). Also hat kein Mensch Zeit fuer eine doofe Praktikantin und viele meiner Fragen muessen unbeantwortet bleiben und ich bin noch nicht einmal nahe daran, effektive Arbeit zu leisten. Und das passt mir gar nicht, laesst sich aber auch wohl nicht aendern. Also gebe ich nach 4 Wochen jetzt auf, lasse meine eher naiven Vorstellungen vom Volunteering endgueltig in den Abfalleimer der Kindheitstraeume gleiten und gehe lieber wieder Reisen. Man muss schon wenigstens die Sprache sprechen, um wirklich etwas Sinnvolles zu tun. Weitere Qualifikationen waeren wuenschenswert und irgendwie gibt es doch sehr viele Menschen, die ihr ganzes Leben um so eine Arbeit herum aufbauen, da kann man bei 3 Monaten wohl nicht wirklich viel erwarten. Trotzdem werde ich in den naechsten Wochen zwischendurch meine Analysen weitermachen, nur dazu muss ich beim besten Willen nicht Vollzeit arbeiten. Natuerlich habe ich in der Zwischenzeit viele Berichte gelesen und mir ein genaueres Bild von den Projekten gemacht. Es war allerdings schwer, sich ein Urteil ueber den Erfolg der Projekte zu bilden, weil jeder Bericht einen komplett anderen Stil hatte als alle anderen und "Kennzahlen" oft fehlten. So weiss ich z.B. wieviel Umsatz die einzelnen Bauernfirmen gemacht haben, aber nicht wieviel Gewinn und auch nicht, was davon im Endeffekt bei den Bauern landet. Teilweise konnte ich noch nicht einmal rauskriegen, wieviele Bauern zu einzelnen Firmen gehoerten. Oder wieviel Coca die heute noch anbauen und wieviel sie vor den Projekten angebaut haben. Es scheint definitiv einige Defizite in der Evaluation zu geben, weil es anscheinend nicht so leicht ist, an die Zahlen heranzukommen. Man darf ja nicht vergessen, dass es sich um ziemlich abgelegene Gegenden handelt, die man teilweise gar nicht ueber Strassen erreichen kann. Und alle Berichte sind natuerlich positiv gefaerbt. So wird lang und breit ueber den Erfolg der 10 groessten Firmen geredet, die immerhin 39.9 Mill.US$ Umsatz gemacht haben und fuer 10% der peruanischen Kaffeeexporte und sogar 50% der peruanischen Kakaoexporte verantwortlich sind. Allerdings gehen davon ca. 25 Mill.US$ auf das Konto einer einzigen Firma. Die zweite macht ueber 5 Mill. US$ Umsatz hat aber auch ueber 4000 "socios". Ist das dann denn wirklich viel? Und wie viele Firmen wurden gegruendet, die nicht funktionieren? Ich habe ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung. So bin ich am Ende dieses Praktikums irgendwie schlauer als vorher und irgendwi auch nicht und wieder einmal wird mir bewusst, dass nichts objektiv ist, man immer alles irgendwie rechtfertigen kann und es gar nicht einfach ist, solchen Dingen auf den Grund zu gehen.
Langer Rede kurzer Sinn: heute Abend beende ich mein stationaeres Leben wieder und gehe auf Reisen. Da freue ich mich ehrlich gesagt auch schon drauf, zunaechst geht es in die Cordillera Blanca (Anden) und ich habe gerade schon Coca-Tee getrunken, um mich auf die Hoehenluft vorzubereiten (altes Rezept der Incas und die Hoehenkrankheit ist bei Staedten in fast 4000m Hoehe wohl echt ein Problem...). Auf lange Sicht habe ich natuerlich wieder mal alle meine Plaene geaendert und werde mich auf Peru und Equador beschraenken und auf dem Rueckweg in New York vorbeischauen. Damit ist mein Round-the-world-Ticket endgueltig reif fuer den Schredder, haette ich das gewusst, haette ich im Juni auch von Bangkok nach London fliegen koennen und mir das 1,5 Wochen durch die Gegend fliegen sparen koennen. Na ja, aber wenn etwas meine Reise auszeichnet sind es wohl die etwas seltsamen Routen. Und ich war dann tatsaechlich auf allen Kontinenten (die Antarktis zaehl ich jetzt mal nicht mit). Leider leider leider komme ich allerdings nicht nach Brasilien, d.h. das steht dann wohl ganz oben auf der Liste fuer zukuenftige Urlaub. Allerdings werde ich mir noch Tauchen auf den Galapagos-Inseln goennen, auch wenn das etwas dekadent ist. Soweit also zu den Plaenen. Ihr glaubt gar nicht, wie erleichtert ich bin, mittlerweile die Flugtickets gekauft zu haben… War ein ziemliches Hin und Her, zwischendurch wollte ich auch schon 1,5 Wochen mit dem Bus durch Bolivien nach Brasilien fahren…. Die Details erspar ich euch aber. Kompliziert wie immer und hat mich einige Naechte schlecht schlafen lassen. Ausserdem wollte die lieben Amerikaner meine Kreditkarte nicht akzeptieren und erst nach 3 Telefonaten mit Visa und ungefaehr 5 mit dem Reisebuero hab ich mich im Endeffekt durchgesetzt. Musste allerdings Mordfantasien unterdruecken und bin wirklich froh, dass es Skype gibt, sonst haette mich das ein Vermoegen gekostet.
Tja, was habe ich sonst noch so in den letzten 3 Wochen angestellt? Ich war ein paar Mal mit einer amerikanischen Praktikantin unterwegs, die jetzt aber wieder zu Hause ist. Wir hatten vor allem einen sehr lustigen Abend, wo wir zunaechst mit einer Kollegin auf der Geburtstagsfeier von einer Studienfreundin von ihr waren: in einem der reichsten Viertel von Lima in so einer Villa, wo wir gezwungen waren, Whisky zu trinken und wo es sehr aparte Sandwiches gab und jede Menge Paearchen, wo er haesslich und wohl eher reich war und sie viel juenger, sehr huebsch und repraesentativ. Und es gab einen viel aelteren Kellner, der so unterwuerfig war, dass mir das hoechst unangenehm war. Wir sind dann da auch bald mit einem 19jaehrigen Iren abgehauen und haben ihn in eine Disco begleitet. Da gab es niemanden, der aelter als 20 war, es war echt lustig anzugucken, aber auch da fuehlten Julie und ich uns eher fehl am Platze... Statt dessen haben wir dann woanders zu 80er Musik auf Tischen getanzt. War im Endeffekt sehr lustig.
Sonst war ich aber eher wenig unterwegs, was wohl auch daran lag, dass ich relativ kraenklich war. Erst diese Sache mit dem Durchfall und dann Aerger mit meinem Hals. Meine Mandeln sind immer noch dick, was wohl auch an dem Klima hier liegt und am Smog. Dadurch, dass hier der kalte Humboldt-Strom vorbeifliesst, verdunstet wohl relativ viel Wasser (ist das physikalisch logisch?) und Lima liegt konstant im Nebel, bis jetzt habe ich hier vielleicht 2mal die Sonne gesehen. Die Luftfeuchtigkeit betraegt denn auch irgendwas bei 95%, nicht so toll fuer Erkaeltungen.
Der Verkehr erstaunt mich uebrigens immer wieder. Na gut, erstens faehrt man nach vorne und nicht nach hinten gerichtet (sprich man guckt nicht nach hinten, wenn man Spuren wechselt etc., sondern bremst, wenn der vor einem einen schneidet). Das kennt man z.B. aber auch von den Italienern. Zweitens nutzt man die Hupe intensiv, z.B. um jemandem mitzuteilen, dass man ihn gerade rechts ueberholt. Aber auch einfach wenn sich der Verkehr staut, um aller Welt klar zu machen, dass man es eilig hat. Drittens werden Spuren einfach ignoriert. So ordnet man sich immer an einer Ampel bei der Spur mit der kuerzesten Schlange ein und zieht dann halt als Linksabbieger schonmal an drei anderen Spuren vorbei und schneidet jeden, der geradeaus will. Je dreister desto besser. So geht es dann natuerlich nicht gerade schneller voran, weil man dauernd fuer irgendwelche Idioten bremsen muss. Als Taxi- oder Busfahrer haelt man auch ueberall an (z.B. auch genau hinter einer Ampel), auch wenn man einen Stau verursacht und die 10-20 Autos hinter einem ein melodioeses Hupkonzert veranstalten. Wirklich stressig und ich wuerde nicht sagen, dass ich da besonders zimperlich bin (Kerstin und Maso finden das glaube ich auch, ich erinnere an eine Frankreichrueckfahrt :-)). Die meisten Taxis sind uebrigens so winzige Daewoos. Mir wurde erzaehlt, dass die eigentlich von Daewoo als Autos gebaut wurden, die nur zum auf dem Fabrikgelaende rumfahren gedacht waren. Aber wenn sie sie da dann ausmustern, verkaufen sie sie hierher als Taxis... Da gibt es dann wirklich gar keine Knautschzone.
Sonst ist die Armut hier echt das groesste Problem und das betrifft mich zwischendurch schon ziemlich. 70% hier sind arm, 30% "extremst arm". Noch mehr nerven aber die Reichen oder mittelstaendischen Menschen und ihr Verhalten. Viele von ihnen sind sehr verwoehnt und benehmen sich nach dem Motto: "Hoppla, hier komm ich". Ich war z.B. am Freitag mit Maria Theresa bei einem klassischen Konzert, Mozarts Requiem. Es war in der Kathedrale und sollte um halb acht anfangen. Um 10 vor acht ging es los und um 10 vor neun war es zuende. Selbst um halb neun kamen noch Leute herein und liessen sich von den Mitarbeitern da Stuehle organisieren, was schon wirklich stoert. Aber anstatt besonders leise zu sein oder eine betroffene Miene zu machen, stolzierten die Leute echt durch den Kirchengang und liessen andere Menschen Stuehle tragen. Wirkte komisch. Zusammen mit dem Problem, dass man konstant die Autos draussen hupen gehoert hat, hat das das Konzert ziemlich versaut fand ich. Schade, war immerhin der nationale Chor...
Nein, sowas kann ich nicht ab und zusammen mit dem Verhalten gegenueber Portiers und Dienstmaedchen (es gibt z.B. in vielen Gebaeuden extra-Fahrstuehle fuer die Angestellten, auch die kleinsten Appartements haben eine extra-Kammer mit Bad fuer das Dienstmaedchen und es gibt hier Straende, wo die Angestellten nicht baden und nur mit Uniform rumlaufen duerfen) macht es mir bewusst, dass ich mich doch in einem dritte-Welt-Land befinde, wo bestimmte Grundeinstellungen (z.B. dass Menschen gleich behandelt werden sollten, egal wie ihre soziale Position und ihr Bildungsstand sind) einfach nicht zum Allgemeingut gehoeren.Lima gefaellt mir trotzdem irgendwie noch gut, als Stadt der absoluten Kontraste. So hat man einerseits huebsche Gebauede im Kolonialstil (siehe Fotos) und 100 Meter weiter gibt es aermliche verfallene Hinterhoefe. In der Hauptstrasse gab es ein schoenes altes Gebaeude mit Schuppen oben drauf und ein Hahn stolzierte auf dem Gelaender entlang. Habe versucht, einiges in Fotos einzufangen, aber leider funktioniert das ja nur immer bedingt...
Zu positiveren materialistischen Aspekten: ansonsten habe ich einen Grossteil meiner Zeit in Lima mit Reiseplanung und vor allem mit Shoppen verbracht. Alles so billig und ich lasse mir jetzt sogar Stiefel schneidern. Und ich treibe gerade einen Taettowierer in den Wahnsinn, weil er mir jetzt zum 5. Mal etwas zeichnen muss (ist immer noch nicht perfekt). Die letzten zwei Naechte habe ich uebrigens wieder in einem Dormitory verbracht, weil meine Maria auf Reisen ist und zu nervoes mit dem Gedanken ist, dass ich allein in ihrem Appartement bin. Nun ja, zeugt nicht von allzu viel Vertrauen, aber dagegen konnte ich dann wohl auch nicht so viel machen... Aber naechste Woche ziehe ich dann da fuer die Zwischenzeit zwischen meinen Trips nochmal ein und der Vorteil ist, dass ich meinen gesamten Kram da lassen konnte. Allerdings ist Maria glaube ich auch nicht gewoehnt, jemanden bei sich wohnen zu haben und wurde in letzter Zeit etwas stressig, auch wenn ich versucht habe, mich moeglichst unauffaellig zu benehmen. War auch nicht unbedingt oft da, da war das nicht so schwer. Na ja, auf jeden Fall hab ich die letzten zwei Naechste ausgesprochen schlecht geschlafen und freue mich schon total auf die Nacht im Bus heute :-) Demnaechst dann mehr Andenabenteuer...

Samstag, August 05, 2006

 

Erste Eindruecke von Lima

Da ich immer noch zu Hause sitze und mir das Baeuchlein halte, nutze ich mal die Gelegenheit und schreibe noch einen Nachtrag. Also, mein Eindruck von Lima: als ich vom Flughafen kam, viel mir auf, dass die Menschen hier sehr baufreudig sind: aus so braeunlichen Steinen werden die Stockwerke nach und nach aufeinander gesetzt, das unterste ist vielleicht schon verputzt und angemalt, das zweite besteht nur aus den rohen Steinen, das dritte ist erst halbfertig, aber falls es schon gebraucht wird, besteht es halt zur Haelfte aus Wellblechwaenden. Ich habe keine Ahnung, wie arm die Gegend im Vergleich war, aber Lima scheint auf jeden Fall grosse Probleme mit "jungen Staedten" an den Randbezirken zu haben, die keine Kanalisation, Wasserleitungen und Elektrizitaet haben.
Ansonsten war ich allerdings bis jetzt nur in den zwei sehr wohlhabenden Bezirken Miraflores und San Isidro und die sind eher schick, auch wenn hier ebenfalls an allen Ecken und Enden gebaut wird. Nette Einkaufspassagen, wieder sehr gut fuer Handtaschen und Schuhe, sehr gefaehrlich fuer meinereiner... Besonders die schon erwaehnten Parks auf den Klippen fand ich eindrucksvoll. Es ist allgemein sauber und es stehen Security Menschen an jeder Ecke. Da gibt es die von der Stadt, aber auch jedes Gebaeude hat Security oder einen Portier. Daran merkt man die Armut hier, das durchschnittliche Jahresgehalt eines peruanischen Stadtbewohners liegt bei 3000US$. Andere Anzeichen sind die vielen Strassenverkaeufer oder Kinder, die Kunststueckchen an Ampeln auffuehren... Und Arbeitskraefte sind guenstig. So gibt es an vielen Kreuzungen statt Ampeln oder vernuenftigen Kreiseln Verkehrspolizisten, die in kleinen runden gelben Kabinen auf der Mitte der Kreuzung sitzen, Einpacker und Einkaufswagen-zum-Auto-Fahrer im Supermarkt und selbst Hausfrauen haben eine Haushaltshilfe (Maid). Dabei ist mir auch eine Einstellung aufgefallen, die mir eher altmodisch vorkommt, ein ziemlich grosses "Klassenbewusstsein". Das gleiche gilt auch fuer "Geschlechterbewusstsein". Die Haushaltshilfen werden wirklich eher wie Dienstmaedchen behandelt, der Portier wird aufgefordert, die Einkaeufe nach oben zu tragen und der Supermarktmensch soll die Einkaeufe ins Auto raeumen. Die Damen scheinen hier vor allem relativ verwoehnt zu sein (jedenfalls Maria Teresa). Beim Einkaufen hatten wir es eilig und fuer mich war das gar nicht, weil ich selber die Einkaeufe definitiv schneller ins Auto gekriegt haette als der arme vollbepackte Mensch... Mir ist sowas unangenehm. Und fuer 5 Tueten hole ich mir doch auch nicht den Portier aus dem Haus raus.. Ausserdem bin ich dafuer glaube ich echt zu emanzipiert.
Das Ganze hat natuerlich auch eine andere Seite: "Machismo". Ich kann mich bis jetzt nicht wirklich beschweren, Maenner haben einen etwas zu ausgepraegten Beschuetzerinstinkt fuer meinen Geschmack (jaaa, ich weiss doch, dass ich vorsichtig sein muss...) und Frauen werden halt anders angeguckt. Oder sagen wir lieber angestarrt, auch Kommentare und direktes Anbaggern sind wohl normal. Und ich habe wohl das Glueck (oder Pech?), dass ich auch als Peruanerin durchgehen kann. Jaa, wenn ich dann erstmal perfekt Spanisch spreche... Aber es nervt natuerlich schon, dass die dritte Frage eines jeden Taxifahrers ist, ob ich Single bin. Mittlerweile bin ich halt verheiratet, lasse meinen Ring aus Sicherheitsgruenden aber zu Hause :-).
ABER: man muss sagen, dass die Menschen ausserordentlich freundlich sind, sehr hilfsbereit und gastfreundlich. Ich werde wohl die naechsten Wochen damit verbringen, die gesamten Familien von Maria Teresa und Maria Eugenia kennenzulernen (vor allem natuerlich die Menschen in meinem Alter) und fuehle mich jetzt schon total integriert. Aber auch die Taxifahrer, die Menschen in den Geschaeften und die Leute, die ich aus diversen Gruenden so auf der Strasse anquatsche waren immer hoeflich, interessiert und absolut freundlich.
Zu meiner Arbeit, dazu muss ich etwas ausholen: Peru ist der drittgroesste Produzent im Anbau von Kokablaettern, war allerdings auch schon der groesste, bevor Kolumbien diesen Wirtschaftszweig entdeckt hat. Seit 20 Jahren hat die UNO hier Programme, den Kokaanbau einzudaemmen und die Menschen zu dem Anbau von Alternativen zu bewegen. Und anscheinend sind sie relativ erfolgreich, mittlerweile wurde ca. 7000 Familien, also ca. 35000 Menschen geholfen. Das Prinzip ist, die Bauern in Firmen zu organisieren, ihnen dabei technische wie auch organisatorische Hilfe zu gewaehren (vor allem Zugang zu Krediten, alternativen Maerkten etc.), bis die Firmen so erfolgreich sind, dass sie sich ihre eigenen BWLer einstellen. Klingt doch eigentlich ziemlich gut fuer Bauern, die teilweise noch nicht einmal asphaltierte Zugangsstrassen haben. Allerdings sind die Ansaetze in vielen Aspekten pragmatisch, was nicht allen Geldgebern gefaellt: z.B. wird von den Bauern nicht verlangt, den Kokaanbau sofort komplett aufzugeben, sondern zunaechst nur zu reduzieren, um Einnahmeausfaelle zu vermeiden. Und ausserdem gibt es Dispute darueber, inwieweit so die Traditionen der Indios bewahrt werden. Moderne kapitalistische Firmen, dazu kommen aber auch Programme der Frauenbildung etc. und man versucht, die Einstellung der Menschen langfristig zu veraendern. Mir gefaellt das allerdings ausgesprochen gut, mehr "down-to-earth" statt idealistische ehrgeizige Programme, bei denen am Ende nix rauskommt. Goyo, mein "Betreuer", hat dabei zwei Funktionen: einerseits schreibt er Berichte ueber die laufenden Programme, guckt sich dabei die Bilanzen der Firmen an, bekommt Zahlen von den Verantwortlichen und evaluiert das Ganze (und produziert dabei jede Menge komplizierte Tabellen). Ausserdem entwickelt er auch neue Programme und hilft bei der Suche nach Mitteln. Dabei wird genau untersucht, wie die Bevoelkerungsstruktur, die Struktur der arbeitenden Bevoelkerung, der Kokaanbau und jede Menge andere Bedingungen aussehen. Oft werden dabei nicht die Aermsten der Armen erwischt, sondern die eher progressiven Bauern, die fuer die Programme geeigneter sind, denn sonst sind die Chancen zu gering. Das Projekt, bei dem ich jetzt "mithelfe", ist fuer das Tal von San Gaban, im Sueden Perus, designed. Es geht darum, verschiedene Anbaumoeglichkeiten durchzuspielen und ich schreibe dafuer die Cash-Flow Tabellen. Diese Woche ging es um Kakao und Honig. Hoert sich schwieriger an, als es ist, in der Praxis wurden mir ca. 10 Excel-Tabellen gegeben und ich musste einfach Ausgaben und Einnahmen raussuchen und zusammenfassen. Also eher stupide. Und im Endeffekt haette das, was jetzt 3 Tage gedauert ist (mit Infos sammeln und verstehen, was er eigentlich von mir wollte), auch in 2 Stunden fertig sein koennen. Effektiv ist also was anderes... Na ja, es gibt ja noch seeehr viele Kombinationsmoeglichkeiten, mit denen ich beschaeftigt werden kann, und ich hoffe, das geht dann schneller :-). Soweit, so gut. Wie gesagt hoffe ich, dass sich das noch verbessert. Allerdings lerne ich wirklich sehr viel Spanisch zur Zeit und ausserdem ist ein Praktikum bei der UNO auch nicht das Schlechteste im Lebenslauf... Wir werden sehen.

Freitag, August 04, 2006

 

Reiseunterbrechung und neues Zuhause


Jetzt habe ich mal ungewoehnlich lange nicht geschrieben und das hatte im Wesentlichen 2 Gruende: in Santiago ist eigentlich nicht sooo viel passiert und diese Woche in Lima war ich unglaublich beschaeftigt. Man koennte fast sagen ich haette Stress... Na ja, jedenfalls fuer meine Verhaeltnisse.
Also, Skifahren hab ich nicht geschafft (war auch teuer), dafuer aber ne Weintour. Vielleicht kennt einer von euch den chilenischen Wein Casillero del Diabolo? Oder in einer etwas anderen Preisklasse Don Melchior? Fange langsam an, trockenere Weine zu moegen und man muss sagen, dass Weintouren echt Klasse sind. Irgendwie hat das einfach Stil und ist so klassisch. Irgendwann muss ich das mal am Rhein lang machen... Nun ja, Fabian und ich waren mit dem Amerikaner weg, der uns schonmal betrunken gemacht hatte und einer ganz lieben Brasilianerin, die, man hoere und staune, keinen Strand mag, ach ja, und einer Deutschen, die allerdings nur einen Tag hatte, bevor sie angefangen hat in Concepcion zu unterrichten. Na ja, ich lasse mal die Fotos fuer sich sprechen, wir hatten Spass, haben danach stilvoll in einer Sushi-Bar weitergetrunken und ich hab die Chance genutzt als Fabian ins Bett gegangen ist, auch zu verschwinden (der Junge kann GAR keinen Wein ab, war sehr lustig fuer uns andere...).
Ansonsten habe ich allerdings nicht mehr sooo viel gemacht. Museen angeguckt und Parks, hab versucht Fabian fuer Kunst zu begeistern, aber da wir im modernen Museum und in dem fuer fruehe einheimische Kunst waren, ist mir das nicht gelungen... Zwischendurch war ich noch relativ down, vor allem weil ich in einem Park mit jeder Menge knutschender Teenie-Paearchen gelandet bin und weil zwischendurch schlechtes Wetter war und ich nur noch darauf gewartet habe, nach Lima zu fliegen. Die anderen sind auch alle eher abgereist als ich.
Immerhin habe ich mich an meinem letzten Tag aufgerafft und bin nach Viña del Mar gefahren, einer Stadt ca. 2 Stunden von Santiago am Strand. So schoen wurde mir von allen Seiten erzaehlt. Ja, war auch nett, Shopping, Restaurants, nette Haeuschen, nur den Strand haben sie leider mit haesslichen Apartmentblocks zugebaut... Richtig richtig schlimm. Und in den Vororten sah man, dass die Menschen in Chile doch nicht soviel Geld haben... Dafuer habe ich mir aber den Sonnenuntergang angeguckt und ein Seeloewe ist vorbeigeschwommen. Stelle mal ein paar Fotos ein, um euch erstens neidisch zu machen (aber ihr habt ja Sommer und hier ist es kalt...) und zweitens mal zu zeigen, was meine Kamera alles kann... Sehr guter Kauf... Und ich habe in einem motivierten Moment die gesamte Beschreibung gelesen... Leider hab ich den Strand zu frueh verlassen und den besten Part nur noch aus der Ferne fotographiert, weil ich mich statt dessen am Telefon mit Ryan anzicken musste... Ja ja, die long-distance-relationships, nicht immer einfach..
Egal, anyway, nachts um 3 Uhr musste ich aufstehen, um nach Lima zu fliegen. Montag war der Frusttag schlechthin. Erstmal war ich halt unausgeschlafen und mitten in der Nacht am Flughafen sitzen macht keinen Spass, manchmal helfen auch gute Buecher nicht. Ausserdem bin ich nach meinen Shopping-Attacken total ueberladen, was das Reisen eher anstrengend macht. In Lima war erstmal alles doof. Keine Touristinformation am Airport (bzw. hinter den Securitysperren fuer die abfliegenden Menschen, welcher Idiot hat sich das ausgedacht?), also keine Strassenkarte. Kein Handyladen, also ein Kampf mit den oeffentlichen Telefonen um ein Hostel zu finden. Mein auserwaehltes Hostel konnte mir noch nicht sagen, ob sie ein Bett haben wuerden. Dann hab wurde mir auch noch mein mangelhaftes Spanisch bewusst, als ich zum Fruehstueck ein fetttriefendes Croissant mit Kaese essen musste... Bah. Und dann gab es ploetzlich kein Flughafenshuttle mehr und ich musste ein Taxi nehmen, was mir gar nicht gepasst hat (Taxis sind gefaehrlich, besonders wenn man seine gesamten Besitztuemer bei sich hat). Zum Glueck konnte ich dann in dem Hostel bleiben, aber es war die absolute Bruchbude und ich hatte noch nie so eine schlechte Matratze. Dann bin ich etwas in Miraflores rumgerannt, einem relativ reichen Meerstadtteil von Lima. Man laeuft am Meer im Wesentlichen auf Klippen entlang mit netten Parks drauf (bisschen wie der von Gaudi in Barcelona) und kann unten die Autos, den Kiesstrand (oder teilweise auch richtiger Bauschutt) und die verrueckten Surfer sehen, die hier ruecksichtslos uebereinander drueber surfen. Bis auf den Strand ist Miraflores aber sehr schoen. Hab mir ein Handy organisiert und nen Stadtplan und da fuehlte ich mich schon besser...
Dann bin ich allerdings mit Taxi zum Buero der Uno gefahren. Alle Menschen fahren hier ueberall hin mit Taxi, weil man bei den Bussen immer nicht so genau weiss, ob man lebend ankommt. Na ja, bei den Taxis auch nicht. Die Busse sind wie die Minibusse in Suedafrika, alle Menschen huepfen ueberall rein und raus (am besten Omas waehrend der Fahrt, so bleibt man fit...) und die Busfahrer haben die Angewohnheit, zu beschleunigen, wenn sie Fussgaenger auf Zebrastreifen sehen. Fahrstil hier ist allgemein sehr ruecksichtslos, man draengelt sich halt ueberall dazwischen und statt Vorfahrt zu gewaehren hupt man, damit jeder weiss, dass man mit Affentempo an einer Querstrasse vorbeirast. Das ist eine der wenigen Sachen, die mir hier nicht gefallen. Und dass man beim Taxi immer die Nummernschilder, den Ausweis und die Rueckbank checken muss (falls sich da wer versteckt), weil die meisten Taxis sich einfach nur so ein Schild besorgt haben und inoffiziell taetig sind. Und die rauben einen dann halt mal aus oder entfuehren einen. Aber jetzt kenn ich ja die Tricks und ausserdem wurde mir von einer Amerikanerin die Karte des Taxifahrers ihres Vertrauens gegeben, den ich jetzt Tag und Nacht anrufen kann.
Mehr zu Lima spaeter, zurueck zu meinem ersten Tag. Im Buero wusste die Sekretaerin Maria Teresa erstmal nix mit mir anzufangen und mein Kontakt Jochen hatte nicht wirklich Zeit. Am Dienstag ist er fuer eine Woche auf Geschaeftsreise gefahren, daher war das meine einzige Chance ihn zu sehen und ich wollte auf keinen Fall erstmal ne Woche rumhaengen. Also hab ich einfach mal ne gute Stunde gewartet und dann hat er allerdings auch relativ ausfuehrlich mit mir unterhalten und mir die Projekte erklaert (das werde ich an anderer Stelle ausfuehren..). Im Endeffekt sollte ich die erste Woche mit Goyo dem BWLer verbringen und fuer ihn Cash Flow Kalkulationen machen. Goyo ist ein relativ farbloser Peruaner, der kein Wort Englisch spricht, daher war es sehr anstrengend zu verstehen, was fuer Rentabilitaetskennzahlen ich fuer ihn ausrechnen sollte. Und nicht, dass ich von sowas besonders viel Ahnung haette, selbst wenn ich keine Sprachprobleme haette... Montag Abend war ich auf jeden Fall regelrecht verzweifelt und hab mich verflucht, wie ich denn ueberhaupt jemals so eine "romantische" Idee mit die Welt verbessern durch meinen freiwilligen Beitrag haben konnte. Im Endeffekt relativ schwachsinnig, wenn man die Sprache nicht spricht und eigentlich fuer sowas auch komplett unqualifiziert ist. Nachdem ich dann auch noch mutterseelenallein bei einem ekelhaften Chinesen gegessen hatte, war mein Tag komplett. Eigentlich hatte ich schon morgens am Flughafen ueberlegt, ob ich nicht einfach direkt nach Sao Paulo weiterfliegen sollte.
So, und seitdem ist alles wieder besser geworden. Goyo war sehr nett und hat mir am Dienstag erstmal den kompletten Tag sehr geduldig alles erklaert (auch wenn ich definitiv mit ihm nix gemein habe...). Und die Projekte sind schon sehr aufregend. Aber dazu wie gesagt spaeter. Ausserdem habe ich Dienstag den Entschluss gefasst, die Dinge in die Hand zu nehmen, hab andere Hostels angeguckt und Fitnessstudios gesucht. Ausserdem war ich einigermassen ausgeschlafen, das hilft auch.
Mittwoch bin ich dann aus meinem Hostel ausgezogen und zu der Zeit hatte mich Maria Teresa unter ihre Fittiche genommen. Sie hat eine Tochter in meinem Alter (die in den USA lebt) und hat eine sehr muetterliche Ader. Sie nimmt mich jetzt mit zur Arbeit, hat mich bei ihrer Freundin Maria Eugenia untergebracht, war mit mir peruanisches Huehnchen und Fisch Essen, hat mich allen Menschen im Buero vorgestellt und mich peruanischen Alkohol trinken lassen (Pisco) und ein Getraenk aus lila Mais (kein Witz, gibt es hier echt). Da sie nicht kochen kann, hat sie mich fuer Sonntag zu ihrer Schwester eingeladen.. Ausserdem soll ich glaube ich ihren Neffen kennenlernen... Nun ja, sehr suess. Ach ja, und gestern waren wir in einem klassischen Konzert, was total Klasse und umsonst war. Dachte nicht, dass ich sowas ueber ein klassisches Konzert mal sagen wuerde...
Maria Eugenia hat zwei Soehne und der eine ist in meinem Alter und gerade in Suedkorea, daher hab ich sein Zimmer. Musste ich natuerlich auch unbedingt kennenlernen, wenn auch nur per Chat. Ist schon nett, wenn sich jemand um einen kuemmert. Und ich hab ueberhaupt nicht gemerkt, wie sehr ich die kleinen Sachen vermisse: ich habe einen Schrank, einen Foehn und ein eingenes Badezimmer, kann Lebensmittel einkaufen, die Waschmaschine benutzen, das Appartment hat Meerblick... Und Maria Eugenia ist total nett und ebenfalls sehr muetterlich, z.B. macht sie mir morgens frischen Saft... Heute hab ich mal wieder die Reisekrankheit und meinem Magen geht es gar nicht gut, also liege ich hier in ihrem Bett, mir wird Tee gebracht und wir ueben Spanisch (ich muss Spanisch sprechen und sie Deutsch und Vokabelfragen klaeren wir auf Englisch...). War etwas skeptisch, was das Zusammenleben angeht (wegen der Freiheit und so), aber ich glaube, hier laesst es sich gut aushalten. Ausserdem habe ich mittlerweile eine Spanischlehrerin und ein Fitnessstudio. Morgen werde ich mich dann mal aus den reichen Vororten herausbegeben und mir das Zentrum angucken.
Das Einzige, was mir so gar nicht passt, ist die Arbeit. Im Endeffekt habe ich das Excel-Dokument mittlerweile 3mal geschrieben, bis ich verstanden habe, was ich eigentlich machen sollte (und am Anfang war Goyo auch etwas zu ungenau finde ich, ich glaube, das hat er auch gemerkt...). Und dann sitze ich am alleraeltesten Computer (haette meinen Laptop mitbringen sollen...), der nur ab und zu mal Internet hat und keinen funktionierenden USB-Anschluss. D.h. Vokabeln nachgucken und Dokumente hin und herschicken gestaltet sich als einzige Qual und ich verschwende wahnsinnig viel Zeit. Das koennte ich echt schneller von Deutschland aus. Und die Welt rette ich so leider auch nicht, sondern im Wesentlichen ging es diese Woche nur um ein kleines Tabellchen fuer einen Bericht ueber ein Projekt... Bisschen traurig. Ich glaube allerdings, dass das besser wird und am Montag kommt auch die Dame wieder, die fuer "Bildung" da zustaendig ist und mein Spanisch wird taeglich besser, vielleicht kann ich also bald mit Kindern arbeiten. Fuer mich glaube ich besser als Landwirtschaft, auch wenn ich schon ne Menge landwirtschaftliches und geologisches Vokabular gelernt habe... Mal sehen, wie sich das entwickelt. Bekomme allerdings auch wieder Lust zu reisen, wenigstens Peru muss ich ja mal sehen. Und eine amerikanische Praktikantin hat mich heute gefragt, ob ich nicht mit ihr nach Cusco fliegen will... Mal sehen, muss mal meinen Reisefuehrer lesen.
So, werde jetzt mal meinen Magen weich betten gehen und verschiebe meine ersten Eindruecke von Lima auf Morgen (bis auf die gefaehrlichen Bus- und Taxifahrer...). Und sollte wohl Fotos machen... ¡Abrazos fuertes a todos!

This page is powered by Blogger. Isn't yours?